Caritas-Suchtexpertin: Alkohol kann auch in geringen Mengen erhebliche Risiken mit sich bringen
Augsburg, 19.04.2024 (pca). Das neue "Cannabisgesetz" der Bundesregierung wird kontrovers diskutiert. Die einen befürchten einen Anstieg des Konsums und damit auch ansteigende Zahlen von Abhängigen. Die anderen begrüßen, dass die Teillegalisierung Konsumenten in gewisser Weise entkriminalisiert und zugleich Präventionsprojekte gestärkt werden.
Edith Girstenbrei-Wittling, Leiterin der Suchtfachambulanz Augsburg-Stadt des Diözesancaritasverbandes, sieht in der Diskussion auch eine Chance: "Wir können als Gesellschaft nun darüber sprechen, wie wir grundsätzlich mit Suchtrisiken umgehen." Ihr Blick richtet sich dabei vor allem auf die legale Droge, die in der Bundesrepublik am häufigsten konsumiert wird: Alkohol.
"Wir brauchen zur Cannabisdiskussion auch eine Alkoholdiskussion", betonte die Sozialpädagogin und Suchttherapeutin bei einem Vortrag in der Suchtfachambulanz. Allein schon die Zahlen sprechen für sich: Deutschland gilt, was den Alkohol betrifft, im internationalen Vergleich als Hochkonsumland mit einem jährlichen Verbrauch von 120 Litern alkoholischer Getränke pro Kopf - umgerechnet sind das 10,5 Liter reiner Alkohol. 1,6 Millionen Deutsche gelten als abhängig, bei 1,4 Millionen Menschen liegt Alkoholmissbrauch vor. 7,9 Millionen haben einen riskanten Umgang mit der legalen Droge Nummer eins. Das führt zu jährlichen Kosten von 40 Milliarden Euro im Gesundheitssystem - dem gegenüber stehen 3,14 Milliarden Euro staatliche Einnahmen durch die Steuer. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums haben 4,5 Millionen Deutsche in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal Cannabis konsumiert.
In ihrem Vortrag stellte die Expertin die rechtlichen Rahmenbedingungen ebenso gegenüber wie die Zahlen und Fakten zu den Auswirkungen beider Drogen, beispielsweise Unfallstatistiken und Kriminalstatistiken bei Straftaten, die auf den Gebrauch von Alkohol oder Cannabis zurückzuführen sind. Die rechtliche Ungleichgewichtung führte bislang dazu, dass Cannabis-Konsumenten schnell straffällig wurden, während Alkohol trotz seiner Auswirkungen überall zugänglich ist. "Ich würde mir eine konstruktive Diskussion darüber wünschen, wie mit beidem umzugehen ist", so Girstenbrei-Wittling.
"Was vielen nicht bewusst ist, ist, dass Alkohol auch in geringen Mengen erhebliche Risiken mit sich bringen kann", so Girstenbrei-Wittling. Sie verweist dabei insbesondere auf fetale Alkoholspektrumstörungen, kurz FASD. Damit bezeichnet werden physische und psychische Geburtsdefekte, die bei Kindern auftreten können, deren Mütter während der Schwangerschaft Alkohol konsumiert haben. "Jeglicher Konsum während der Schwangerschaft kann riskant sein, schon das eine Glas Sekt bei einem Geburtstag oder ein Wein am Abend zur Entspannung", betont die Expertin. Mit FASD kommen jährlich rund 10.000 Babys zur Welt. "Das ist unter den angeborenen Behinderungen jene, die am häufigsten auftritt, die aber auch vollständig vermieden werden könnte."
Klar sei: Alkohol sei ein hochpotentes Zellgift, das - beispielsweise im Unterschied zu Cannabis - nicht nur zu psychischer, sondern auch zu körperlicher Abhängigkeit führen kann. Beide Drogen seien jedoch für Menschen unter 25 Jahren hochriskant: "Bis zu diesem Alter reift das menschliche Gehirn noch und ist daher besonders verletzlich. Der Konsum psychoaktiver Substanzen jeglicher Art kann daher nachhaltige Schäden anrichten." Auch wenn nun mit dem neuen Gesetz ein Präventionsprogramm einhergehe, seien die Mittel für allgemeine Präventionsmaßnahmen viel zu gering. Ebenso könne man, wie bei der Tabakwerbung erfolgreich durchgeführt, auch über ein Werbeverbot für Alkohol oder auch Glücksspiel nachdenken. "Alkohol wird einerseits immer günstiger, die Werbung dafür jedoch immer massiver."
Über den aktuellen Diskussionen sollten in erster Linie jedoch Fragen stehen, meint Edith Girstenbrei-Wittling, die unabhängig von der Art der Droge zu stellen seien: "Was sind die Probleme, die zu riskantem Konsum führen? Warum wird jemand abhängig? Und was kann man tun, um diese Faktoren zu beeinflussen?"
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