Anna L. (Name geändert) hatte es nicht einfach in ihrem Leben. Es gab manche Konflikte mit ihren Eltern. Ihre Ehe war nicht glücklich. Auch ihr Kind verstarb früh. Dennoch ging sie ihren Weg. Sie machte eine Ausbildung, ging stets zur Arbeit, arbeitete fleißig und blieb nur zuhause, wenn es gar nicht mehr anders ging. „Ich gehe gern in die Arbeit, auch wenn ich mich dafür abquälen muss. Ich will mir nichts nachsagen lassen.“ Eine starke Frau, so hat man den Eindruck. Das war sie auch. Aber sie trug ein stetig wachsendes Problem mit sich herum. Ihren „Ausgleich“ fand sie im Alkohol. Der Schein der „starken Frau“ traf immer weniger zu.
Es sitzt heute dem Suchttherapeuten der Caritas Sebastian Müller eine aufgeräumte, in sich ruhende Frau gegenüber. „Ich habe endlich gelernt, auf mich zu achten, mir auch schöne Dinge zu gönnen. Ich bin ein gelassenerer Mensch geworden.“ Zwischen diesem Satz und dem, wie sie zuvor wirklich war, war ein langer Weg. Anna L. ist heute über 50 Jahre alt. Als Jugendliche trank sie bereits, „manchmal zu viel“. Alkohol war in ihrer Familie ja ohnehin ein ständiger Begleiter. Ihr Vater trank, auch ihr Bruder. Warum dann nicht selbst Spaß bei Partys haben? Doch aus den einzelnen Räuschen entstand die Gewöhnung, aus der Gewöhnung die Abhängigkeit. „Und dann merkte ich auf einmal, dass ich mich nicht mehr nach einem Rausch übergeben musste“, erzählt sie. Ihr war klar: „Das hat etwas zu sagen.“ Phasenweise trank sie dann nichts mehr. Aber sie kam vom Alkohol nicht weg. Sie zog sich zurück, verheimlichte alles, was nur den Anschein erwecken könnte, sie greife zum Alkohol.
„Das war kein schönes Leben mehr.“ Müller erklärt auch warum. Anna L. litt wie andere Suchtabhängige auch unter ihrer Abhängigkeit. „Sie wollen davon weg, schaffen es aber nicht. Das ist ein Kreislauf, der nach unten führt, weil sie auch immer weniger Kraft haben.“ Anna L. war soweit. Sie nahm mit der Suchtfachambulanz im Caritas-Zentrum für Seelische Gesundheit in Schwabmünchen hinter dem Kreiskrankenhaus Kontakt auf. Sie tat es nicht aus eigenem Antrieb. Ihr Arbeitgeber hatte sie angesprochen und sie vor die Alternative gestellt, entweder sich Hilfe zu suchen oder den Arbeitsplatz zu verlieren. Anna L. ist das immer noch peinlich, sie gesteht aber ein „Diesen Schuss vor den Bug habe ich wohl gebraucht.“ Sie ist ihrem Personalchef heute sehr dankbar dafür. Dieser „Schuss“ wurde für sie zum Anfang eines neuen Lebens.
„Das ist der Normalfall. Die meisten kommen nicht aus eigenem Entschluss“, so Müller. Entweder ist es der Arbeitgeber oder der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin, andere Familienangehörige oder Freunde, die die Betroffenen zur Beratung „drängen“. Die meisten, die zur Suchtfachambulanz der Caritas kommen, können auch kaum diesen Schritt aus eigener Kraft schaffen. „Viele Klienten kommen selbst aus suchtbelasteten Familienverhältnissen. Dort hatten sie nie gelernt, wie man Stress anders abbaut als durch Alkohol“, sagt Müller. „Die Emotionsregulation, die Fähigkeit also die eigenen Gefühle auf gesunde Art steuern und aushalten zu können, konnte nicht entwickelt werden.“ Andere Klienten würden unter Depressionen oder Angststörungen leiden und greifen zum Alkohol, um wenigstens kurzfristig aus dieser psychischen Belastung herauszukommen. Nicht wenige Schichtarbeiterinnen und Schichtarbeiter hätten Probleme damit, zu unregelmäßigen Zeiten schlafen zu müssen. Der Alkohol ist dann allzu oft das Schlafmittel.
Anna L. verlor nicht ihren Job. Sie musste auch keinen Urlaub nehmen, damit niemand etwas davon erfahren konnte, dass sie eine Suchttherapie macht. Sie nutzte das Angebot der Caritas-Suchtfachambulanz zur „Ambulanten Therapie“. Sie besteht aus Einzelgesprächen und der Gruppentherapie. Durchschnittlich nehmen fünf bis zehn Frauen und Männer daran teil. „Anfänglich hatte ich da gemischte Gefühle“, gesteht Anna L. „Kennt Dich da jemand vielleicht?“ So redete sie lange um den „heißen Brei herum“. „Ich war nicht wirklich bei mir.“ Erst als sie anfing, nicht mehr abzublocken und andere an sich heran zu lassen, wich ihrer Skepsis einem Gefühl der Versöhnung auch mit sich selbst. Ihr halfen die vielen fachlichen Informationen darüber, was der Alkohol mit einem Menschen macht. Auch der Austausch mit anderen Suchtmittelabhängigen half ihr aus ihrer eigenen Ecke herauszukommen und dadurch auch ihr Leben neu zu betrachten. Nicht häufiger als acht bis zehn Mal wollte sie ursprünglich daran teilnehmen. Doch bald lernte sie, dass sie viel mehr Zeit bräuchte, um viel mehr von ihrer Abhängigkeit und deren Auslöser in ihrem Leben zu verstehen. Die ein bis eineinhalb Jahre, die eine ambulante Therapie durchschnittlich dauert, erscheinen ihr heute „fast zu kurz“.
Müller weiß, wie schwer es für Abhängige ist, über ihre Gefühle zu sprechen. „Aber das müssen sie.“ Keinem Suchtabhängigen wird die immer wieder gestellte Frage erspart „Was fühlen Sie dabei?“ Sie müssten lernen, sich wieder mit sich selbst auseinanderzusetzen, auch mit der Scham, mit ihren Schuldgefühlen, ihren Aggressionen oder Ängsten. „Viele Süchtige können nicht über ihre Gefühle sprechen. Sie haben oft gar keinen Zugang mehr zu den Gefühlen“. Die ambulante Therapie verfolge das Ziel, dass Suchtmittelabhängige lernen, wieder sich wirklich selbst zu spüren und sich selbst etwas wert zu sein. Anna L. ist diesen Weg mitgegangen. „Ich freue mich heute, in die Natur rauszugehen, zu beobachten, wie alles wächst und gedeiht, ich gehe wieder auf Leute zu“, erzählt sie. „Und ich gönne mir auch mal einen Wellness-Abend und schöne Kleider.“ Und ergänzt: „Ich habe dank der Ambulanten Therapie gelernt: Ich bin mir das wert.“
Info und Kontakt:
Suchtfachambulanz Augsburg-Land
im Zentrum für Seelische Gesundheit
Weidenhartstraße 31 (hinter dem Kreis-Krankenhaus)
86830 Schwabmünchen
Tel. 08232 9664-0
E-Mail: suchtfachambulanz-schwabmuenchen@caritas-augsburg.de