Er zeigt sich desinteressiert, obwohl es ihn angeht, und spricht ständig von Kopfschmerzen. Wenn er sich äußert, hat er Angst vor seiner Zukunft und scheint irritiert zu sein. Der unbedarfte Beobachter wird ihn vielleicht schnell beurteilen: „Er will nur nicht Hause. Er will sich hier nur ausruhen.“ Doch dieses Urteil ist falsch, wie Jannetta Bos vom War Trauma Foundation bei der Transnational Exchange III – Konferenz in Augsburg über die Rückkehrberatung in Europa deutlich machte. „Er leidet an Depressionen“, erzählte sie.
Am zweiten Tag der von der Europäischen Union geförderten Konferenz setzten sich die 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 16 Ländern mit der Frage auseinander, wie sie besonders schutzbedürftige Menschen am besten beraten und begleiten können. Nach einem Einführungsvortrag von Bos setzten sich die Konferenz-Teilnehmerinnen und –teilnehmer in drei Workshops u.a. auch damit auseinander, was sich bei ihnen persönlich wohl verändern würde, wenn sie aus ihrem Heimatland ausreisen müssten. Sie waren sich alle in einem Punkt wichtig: „Wir wären dort wie hier auf ein gutes soziales Umfeld angewiesen.“ Auch wenn der Verlust von bekannten Menschen, die Sorge Familienmitglieder und Freunde vielleicht nicht mehr im Leben wiederzusehen, „kann deshalb jeder Mensch einem Flüchtling helfen, indem er ihn als Menschen begegnet und mit ihm spricht“, ergänzte Bos.
Muhannad blickte auf ein Leben voller Stress zurück. Es war schon zuhause nicht einfach. Seine Familie hatte ihm die Reise nach Europa finanziert – mit der klaren Erwartung, dass er sie von dort unterstützen sollte. Doch dies war ihm nicht möglich. Er fand in England keinen Arbeitsplatz, hatte keine Freunde oder Bekannte, die ihm halfen, das Leben dort zu gestalten. Die Kultur war ihm fremd, die auch religiösen alltäglichen Rituale aus seinem Heimatland fehlten ihm. Er empfand deshalb Scham und Angst zurückkehren zu müssen. Scham, weil er seine Familie nicht unterstützen konnte, Angst davor, dass seine Familie ihn ablehnen würde, wenn er nach Hause kommt. Bos: „Die Familie ist wichtig. Unterstützt sie den Heimkehrer kann dies ihm viel helfen, tut sie es nicht, kann es sehr schwer werden für ihn.“
Rückkehrberater sollten deshalb diesen Aspekt mit in ihre Gespräche einbringen und mit dem Klienten seine Bedenken diskutieren. Auch sollten sie sich bewusst sein, dass für den Klienten seine Tradition und Kultur, auch seine Religiosität, Gebete und Rituale wichtige Stützen für ihn sein können, derer er sich auch bewusst sein soll. Bos riet deshalb, nicht nur über die Ängste, seine Gefühle und Gedanken zu sprechen, sondern den Blick auf andere Aspekte des Lebens zu richten.
Besonders wichtig war dieser Blickwechsel bei Malika aus Nigeria oder Mary Ann aus Liberia. Beide erlebten Schlimmes. Malika erlebte Gewalt in der Familie, Mary Ann wurde von Soldaten vergewaltigt. Malika zitterte am ganzen Körper, wenn man sie ansprach. Manchmal hatte sie Panikattacken, ihr Herz raste und gleichzeitig verspannten sich minutenlang ihre Muskeln. Sie war voller Furcht, sie hatte nur noch Angst, so sehr, dass es jede Minute im Alltag bestimmte. „Da ist es nur verständlich, dass sie Angst vor der Zukunft hat, weil sie meint, jegliche Kontrolle über ihr Leben zu verlieren und verrückt zu werden“, so Bos. Mary Ann, die mehrfach vergewaltigt worden war, erstarrt regelrecht, wenn über ihr Heimatland gesprochen wird. Dieses traumatische Erlebnis bricht in Alpträumen und in Flashbacks am Tage immer wieder bei ihr hervor. Sie befindet sich ständig in einer Alarmsituation, sie schrickt auf, wenn ein unerwartetes Geräusch an ihre Ohren dringt. Sie leidet an Panikattacken. Mary Ann musste in der Beratung erst lernen, an ihrem Leben wieder Interesse zu finden und an andere schönere Dinge zu denken.
Rückkehrberater, so Bos, brauchen ein feines Gespür und deshalb auch ein entsprechendes Wissen, wie sie mit besonders unterstützungsbedürftigen Menschen umgehen können bzw. müssen. Die 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzten deshalb sehr intensiv die Gelegenheit mit Bos und ihrer Kollegin von der War Trauma Foundation Rina Ghafoerkan sowie Hanna Küstner von Refugio München über ihre schwierigen Beratungsfälle zu reden und darüber zu diskutieren, wie bestimmte Verhaltensweisen zu beurteilen seien. „Dabei müssen wir gleichzeitig immer auch bedenken“, warf Bos ein, „dass die Heimkehr nicht in dieselbe Heimat erfolgt, die sie verlassen haben, und jeder Rückkehrer seine eigene neue Erfahrungswelt mit nach Hause bringt.“ Unterstützung und Begleitung vor Ort wie auch, eine entsprechende Sensibilisierung der Partner vor Ort sei deshalb von grundsätzlicher Bedeutung für die Rückkehrer.
Pressemitteilung
86152 Augsburg
Transnational Exchange in Augsburg: Rückkehrberater brauchen feines Gespür und viel Wissen
Erschienen am:
23.11.2016
Herausgeber:
Caritasverband für die Diözese Augsburg e.V.
Auf dem Kreuz 41
86152 Augsburg
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