Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung komme Kindertageseinrichtungen „eine zentrale Bedeutung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft“ zu. „Sie sind nämlich der Ort, wo Eltern und Kinder aus den unterschiedlichsten Lebenswelten zusammenkommen, wo Kinder zusammen aufwachsen, miteinander spielen und gemeinsam lernen“, so der bekannte Milieuforscher Prof. Dr. Carsten Wippermann von der Katholischen Stiftungshochschule in München. Kindertageseinrichtungen, die sich auf ein Milieu konzentrieren, erteilte er deshalb eine Absage.
„Wenn Kinder aus dem reichen oder bürgerlichem Milieu nur Kinder aus dem reichen bzw. bürgerlichem Milieu kennen, wie kann dann Empathie und Solidarität, zentrale Voraussetzungen für den inneren Zusammenhalt erwachsen?“, fragte der Milieuforscher in seinem Vortrag beim Diözesan-Fachtag des Augsburger Diözesan-Caritasverbandes für ErzieherInnen in katholischen Kindertageseinrichtungen im Kongress am Park in Augsburg. Die öffentliche Hand, Politik und Gesellschaft sollten deshalb den ErzieherInnen mehr Anerkennung zollen. „Sie haben einen höheren Verdienst verdient“, sagte er zu über 600 Teilnehmerinnen des Diözesan-Fachtages.
Um dieser gesellschaftlichen Aufgabe zusätzlich zu den vielfältigen Aufgaben gerecht zu werden, brauche es, so Prof. Wippermann, „ein Gespür für Eltern aus den unterschiedlichen Milieus“. Er forderte deshalb sie auf, sich ständig um eine „interkulturelle lebensweltliche Kompetenz“ zu bemühen. Diese Kompetenz sei Voraussetzung dafür, „die Ansprüche und Bedürfnisse der Eltern auszuhalten, ohne dabei jemanden auszugrenzen.“
Mütter aus den unterschiedlichen Milieus „ticken“ auch unterschiedlich. Die „etabliere Mama“ betrachte sich als Erziehungsmanagerin, die danach frage, was ihr Kind für eine optimale Entwicklung braucht. Die „Performer-Projekt-Profi-Mama“ pflege einen hohen Anspruch an Professionalität und erwarte von den Erzieherinnen permanent am Puls der Zeit zu sein. Die Mama aus der bürgerlichen Mitte sehe sich als die „allzuständige Beschützerin und Förderin“. Die „hedonistische Mama“ fühle sich als die „große Schwester“, die ihr Kind nicht einengen will. Die „expeditive Mama“ entdecke in der Erziehung sich selbst. Die Mama aus dem Milieu der Benachteiligten empfinde ein Gefühl des Ausgeliefertseins und deshalb ständigen Stress. Auch habe sie Schwierigkeiten, ihre Rolle als Ehefrau und Mutter miteinander zu harmonisieren. Finanzielle Probleme tragen dazu bei. Die ständige Überlastung führe dazu, dass sich diese Mama aus der Erziehung zurückzieht. „Die Kinder erziehen sich selber, weil sie das selber wissen“, so deren Einstellung.
Die Mütter wie auch die Väter und daran geknüpft die Kinder hätten spezifische Bedarfe, Ansprüche und brächten unterschiedliche spezifische soziale und kulturelle Ressourcen mit. Wenn Eltern aus den wirtschaftlich erfolgreicheren Milieus fordern, dass die Kindertageseinrichtung, in die ihr Kind geht, „ein möglichst störungsfreies und homogenes Biotop“ sein solle, „damit das Kind keinen Schaden nimmt“, dürften sich Erzieherinnen diesem Druck nicht beugen. Denn, so der Münchner Milieuforscher, die Menschen am unteren Rand würden ohnehin schon immer mehr resignieren. Gerade sie aber bräuchten Unterstützung und die Erfahrung der Wertschätzung und Solidarität. Deshalb sei es zunehmend eine zentrale Aufgabe von Kindertageseinrichtungen, die Fähigkeit der Einrichtung und damit verbunden die der Erzieherinnen zu stärken und zu bewahren, „Zugang zu allen Milieus zu haben und den Spagat zwischen den unterschiedlichen Ansprüchen und dem gesamtgesellschaftlichen Auftrag auszuhalten.“