Caritas verabschiedet am Mittwoch langjährige Schulleitung und begrüßt ihren Nachfolger mit Festakt
Augsburg, 09.09.2019 (pca). "Wie bringt man denn eine Schule wieder zum Leben?" Unvergessen geblieben ist Friederike Ferstl diese Frage. "Männer in dunklen Anzügen", so ihre Erinnerung, hatten diese 1993 ihr gestellt. Sie waren kurz davor, die Altenpflegeschule der Caritas zu schließen. Die Schule gibt es heute noch. Seit 1993 haben weit über 2.000 Frauen und Männer ihre Abschlüsse in der Altenpflege und Altenpflegehilfe abgelegt. Ferstl hatte die damalige Führungsspitze des Augsburger Diözesan-Caritasverbandes, unter ihnen auch der frühere Diözesan-Caritasdirektor Prälat Karlheinz Zerrle, nicht nur mit ihren Ideen und Worten überzeugt. Sie hat sie seitdem mit Leben gefüllt und in die Tat umgesetzt.
Wer mit ihr spricht, weiß, dass ihren Worten nicht nur klugen Gedanken entspringen. Man spürt die Leidenschaft für ihren Beruf, die in ihr brennt. "Wenn es dem Menschen, der mir anvertraut ist, gut geht, dann geht es auch mir gut", beschreibt sie das, was sie antrieb und heute noch antreibt. Nach 45 Jahren Berufstätigkeit und mehr als 25 Jahre als Leiterin der beiden Berufsfachschulen für Altenpflege und Altenpflegehilfe der Caritas hört nun Ferstl auf. Ihr Nachfolger hat bereits ihre Leitungsrolle übernommen. Es ist Dietmar Köpernik, der zuvor jahrelang stellvertretender Schulleiter der Krankenpflegeschule der Diakonie in Augsburg war. Ihm wird es nun obliegen, die beiden Schulen der Caritas auf die generalistische Ausbildung in der Pflege vorzubereiten. Dafür bringt er reichhaltige Erfahrungen mit sich, den bei der Diakonie war er mit dafür verantwortlich gewesen, die generalistische Ausbildung im Rahmen eines Schulversuches durchzuführen und auszugestalten. Am Mittwoch dankt der Diözesan-Caritasverband Ferstl für ihren langjährigen Dienst als Schulleitung und begrüßt ihren Nachfolger Köpernik mit einem Festgottesdienst und anschließendem Festakt.
Wenn Ferstl über ihr langes Berufsleben in der Krankenpflege, Anästhesie, Schmerzambulanz und Intensivstation , der Notfallmedizin und in der Altenpflege erzählt, der kommt an einem bestimmten Punkt nicht an der Frage vorbei, wie sie denn mit Krankheit, Verletzungen und dem Tod umgegangen sei. Wer lange Antworten erwartet, die davon berichten, wie sie all das empfunden habe, der wird eines Besseren belehrt. "Ich kann und darf mich nicht mit mir und meinen Ängsten selbst beschäftigen, wenn ich einen kranken, verletzten oder alten Menschen begleite und ihm helfen soll. Man muss sich hinstellen. Man darf nicht jammern. Ansonsten bin ich keine Hilfe." Sie hat dabei den Patienten bzw. die Pflegeperson ganz im Blick. "Ich habe doch erst dann ein gutes Ergebnis meiner Arbeit, wenn mein Gegenüber im Krankenhaus oder in der Pflege Schweres gut tragen kann. Da darf ich nicht jammern. Ich muss meinen Dienst aufrecht mit allem meinem Wissen und menschlichem Feingefühl für den Anderen leisten. Wenn ich zusammenbreche, hilft das niemandem."
Ihre Schülerinnen und Schüler der Altenpflege bzw. der Altenpflegehilfe verstanden sehr schnell, was sie damit zum Ausdruck bringen will. Nicht Härte, nicht kalte Distanziertheit verbergen sich hinter ihrer Haltung, sondern die Bereitschaft, sich ganz dem anderen zuzuwenden. Wo immer Ferstl als Schulleitung, Lehrerin und Praxisbegleiterin am Ausbildungsplatz unterwegs war, bewies sie stets ein offenes Ohr und ein weites Herz für ihre Schülerinnen und Schüler wie auch deren Anliegen. "Nur der ernst genommen wird, lernt, andere in ihrer Würde ernst zu nehmen", so Ferstl.
Schon seit frühen Kindheitstagen - sie ist im Dezember 1955 auf die Welt gekommen - ist ihr die Arbeit in der Krankenpflege gleichsam in ihr Kinderbett gelegt worden. Ihr Vater war Oberstudiendirektor an einer Augsburger Schule. Als ihre Mutter einmal krank war, gab es niemanden, der auf das kleine Mädchen aufpasste. Der Vater konnte sie ja auch nicht mit in die Schule nehmen. Aber die Barmherzigen Schwestern vom früheren Augsburger Hauptkrankenhaus an der Henisiusstraße hatten ein Herz. So lief sie schon als Vierjährige im Krankenschwesternbetrieb mit. Die Schwestern hatten ihre Freude, auch die Patienten. Sie schaute zu, war fleißig und hatte ihren Spaß daran, mit den Patienten zu plaudern. "Das war toll für mich. Ich weiß noch, wie viel Spaß ich dabei hatte", erinnert sich Ferstl. Auch in späteren Jahren als 10-jährige und dann als Jugendliche verbrachte sie nicht wenige Tage ihrer Ferienzeit im Krankenhaus. Sie verteilte das Essen, richtete die Tablets für die Patienten schön her, unterhielt sich viel mit ihnen und lernte so, sich auf jeden Menschen einzustellen, was sie interessierte und was sie erlebt hatten. Und wenn ihre Mutter krank zuhause war, "spielte ich Krankenhaus zuhause". Ihr Berufswunsch bildete sich in diesen Jahren heraus. Als ihr Bruder an Krebs starb, stand für sie der Entschluss endgültig fest: "Ich will unbedingt Krankenschwester werden."
1973 begann sie ihre Ausbildung an der damaligen "Schwesternschule" der Barmherzigen Schwestern in Augsburg. Drei Jahre dauerte die Ausbildung. Am Ende hatte sie ihr Staatsexamen in der Tasche. Das, was sie während ihrer vielen Mitarbeit bei den Barmherzigen Schwestern angeeignet hatte, wurde ihr dann von einer "weltlichen Stationsschwester", wie es damals hieß, angekreidet. "Sie hat zu viel mit den Patienten geredet", hieß der Vorwurf. Irgendwie scheint das Ferstl im Inneren gewurmt zu haben, lagen ihr gerade die Patienten doch am Herzen. Und medizinisch konnte ihr nie etwas vorgeworfen werden. Jedenfalls entschied sie sich nach dem Ende ihrer Ausbildung nur Nachtdienste zu übernehmen. "Hier konnte ich meine Arbeit in Ruhe machen."
Zwei Jahre lang wechselten zwei Wochen Nachtdienst mit zwei freien Wochen ab, die sie dann gar nicht so selten in Rom verbrachte. Ferstl spricht Italienisch und nutzte ihre Kenntnisse, um Pfarreien bei ihren Reisen nach Rom zu begleiten. Eine weise ältere Schwester beobachtete sie länger. "So ein Leben ist nicht gut für eine junge Schwester", habe sie damals Ferstl gesagt und wies sie auf eine Fortbildung zur Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin hin. Sie griff zu und machte sich auf, für drei Jahre am Augsburger Klinikum - heute die Universitätsklinik - diese Fortbildung zu machen. Noch heute schwärmt sie davon, wieviel sie damals dazu lernen konnte und wie reich die Praxiserfahrungen waren. "Mein Spektrum reichte von den Frühgeburten bis zu hochaltrigen Menschen." Es hatte ihr Spaß gemacht.
Bis 1989 arbeitete sie am heutigen Uniklinikum. Anästhesie, Schmerz- und Intensivambulanz wie auch Notfallmedizin - "das war mein Leben". Schon als 27-jährige übernahm sie dann eine Führungsposition in ihren Aufgabenbereichen und Schichtdiensten. Wenn ein Hubschrauber mit einem Notfallpatienten landete, war sie vorne mit dran. "Ich habe es geliebt, wenn viel los war", erzählt sie mit einem Strahlen im Gesicht. Man merkte es ihr damals an, mit wieviel Herzblut und Begeisterung sie ans Werk ging, und gab ihr bald den Spitznahmen "unsere Krankenschwester mit Blaulicht am Kopf".
Der Tod war ihr dabei nicht fremd geblieben. Als junge Krankenschwester habe sie immer gehofft, dass der Tod nicht eintrete, wenn sie Dienst hätte. Doch während der Jahre drehte sie diesen Gedanken immer mehr um. "Es ist gut und recht, wenn er bei mir stirbt, denn dann ist er gut aufgehoben." Sie spürte wohl, dass sie eine besondere Gabe hatte, den Menschen die Angst zu nehmen, ihnen zuzuhören und sich mit ihnen so zu unterhalten, dass der Patient sofort spürte, dass es ihr um ihn ging und nicht um Essen, das Wetter oder andere banale Dinge. "Es muss immer nur um den Patienten gehen. Es darf niemals um mich gehen."
1986 begann sie die Ausbildung zur Lehrerin für Pflegeberufe. Sie konnte seit 1977 nach ihrer dreijährigen Ausbildung fast zehn Jahre Berufserfahrung sammeln und sich ständig fortbilden. "Damals waren sechs Jahre Berufserfahrung Voraussetzung dafür, um die Lehrerausbildung machen zu können." Sie möchte das nicht vermissen. "Ich konnte so viel lernen und wenn ich in allen Jahren meiner Lehrtätigkeit meinen Schülerinnen und Schülern gegenüber trat, sprach ich nicht von der Theorie, sondern aus der Erfahrung der Praxis heraus." Dass die Berufserfahrung heute keine Voraussetzung mehr für das Studium der Pflegepädagogik, so der heutige Begriff für die frühere Ausbildung zur Lehrkraft für Pflegeberufe, sieht sie kritisch. "Die reine Akademisierung hat auch ihre Schattenseiten."
Wieder galt es drei Jahre zu büffeln. Die Schule war in München. Die 600 DM, die für diese Ausbildung monatlich zu zahlen waren, übernahm ihr Vater. Sie hatte offensichtlich "was drauf", wie man heute sagen würde. Jedenfalls wurde die damalige Direktorin der Hans-Weinberger-Akademie in München, Ute Braun, schon eineinhalb Jahre nach Beginn dieser neuen Ausbildung auf Ferstl aufmerksam. "Eine Sozialdemokratin, wie sie im Buche steht", erinnert sich Ferstl. Ihr erstes Jobangebot. Nach dem Abschluss der Ausbildung fing sie 1989 sofort an der Altenpflegeschule der Akademie an. "Da habe ich meine ersten Sporen verdient." Und sie konnte viel ausprobieren und machen, "was ich für richtig hielt."
Ein Anruf aus Augsburg im Jahr 1992 holte sie schließlich in ihre Heimatstadt zurück. Gabriela Lorenz, die damalige stellvertretende Leitung der Heimerer Schule in Augsburg suchte eine Nachfolgerin für sich. Ferstl nahm an, musste sie doch nicht mehr täglich von Augsburg in die Landeshauptstadt pendeln. Eineinhalb Jahre später hat man offensichtlich bei der Caritas beobachtet, wie auch dank der Mithilfe Ferstls die Heimerer-Schule immer größer wurde und immer mehr Altenpflegeschüler anlockte. Man rief sie an und lud sie zum Gespräch ein.
Ferstl ist Katholikin. Sie stammt aus einer katholischen Familie. Aber die Caritas-Altenpflegeschule war ihr damals kein großer Begriff, auch nicht die Caritas als Verband, gesteht sie heute. Sie machte sich aber schlau. Die Caritas-Altenpflegeschule war die älteste in Schwaben. Und sie wusste, dass die Caritas kurz davor stand sie zu schließen. Das hatte sie herausgefordert. Sie nahm das Angebot der Leitung an. Ihr Beweggrund spricht für ihre Überzeugungen: "Es kann nicht sein, dass man eine so alte Tradition einfach beendet und zugrunde gehen lässt."
Bedingungslose Leidenschaft war wohl die Voraussetzung für die neue Leitungsaufgabe. "Wir hatten nichts, außer einer Schreibmaschine." 1994 zählte die Schule nur 13 Schülerinnen. Ferstl drehte den Wind. Es gelang ihr immer mehr junge Menschen und auch Frauen, die schon zuhause eine Familie hatten, für den Pflegeberuf zu begeistern. Die Schülerzahl stieg stetig an. Ferstl konnte und kann regelrecht anstecken. Die Schülerinnen und Schüler ließen sich auch anstecken von dem, was Ferstl stets am wichtigsten war: "Sie müssen lernen, dem anderen die Würde zu belassen, egal wie schwach er ist. Kopf, Herz und Hand müssen sich vereinigen." Darin wollte sie immer Vorbild sein. "Ich hoffe, dass ich das wirklich war und bin. Wenn ich das erreicht habe, habe ich mein Ziel erreicht", sagt Ferstl heute.
Ein bescheidener Wunsch, aber es wäre nicht Ferstl, wenn sie nicht noch mit einem schelmischen Blick eine Geschichte noch hinzufügte. Eine, die zu einer Beschwerde der Augsburger Sozialstationen führte. Für sie war es eines der nettesten Erlebnisse und Erfahrungen. Sie bot Mitte der 1990er Jahre einmal einen Kurs für alte Männer an, die ihre Frauen zuhause pflegten. 18 alte Herren nahmen daran teil. "Nie wieder habe ich Kursteilnehmer mit so viel Begeisterung, Interesse und Engagement erlebt", erzählt Ferstl. Aber sie durfte den Kurs nicht wiederholen. Der Grund: Die Herren hatten danach Dienstleistungen von Sozialstationen, die sie zur Unterstützung bestellt hatten, wieder abbestellt.
Ausbrechen aus dem Gewohnten, mal was Neues probieren und Bekanntes neu denken und gestalten, das will Ferstl nun auch in ihrem Ruhestand. Das heißt bei ihr nicht, dass sie nicht mehr für andere einsetzt. Sie begleitet privat schon seit längerem Menschen in ihrem Kranksein, wie sie es nennt. Und die Jugendschutzkammer am Augsburger Gericht hat sie als ehrenamtliche Schöffin bestellt. Sie ist schon mit ganzen Herzen dabei.