Augsburg, 13.03.2013 (pca). Der demographische Wandel stellt die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Überalterung, aber auch der drohende Fachkräftemangel im sozialen Bereich gehören unter anderem dazu. Besonders betroffen davon sind kleinere ländliche Gemeinden. Sie können schon aus Kostengründen nicht alle personenbezogenen soziale Dienstleistungen anbieten. Menschen, ob jung, alt oder behindert, die einen besonderen Unterstützungsbedarf haben, müssen deshalb ihre Heimat verlassen. Menschen verlieren dadurch Freunde und den sozialen Anschluss, die Gemeinden verlieren Menschen, die zu ihnen gehören.
Das Problem ist bekannt, doch bislang weiß keiner in Politik und Wissenschaft, was man gegen diesen Trend tun kann. Der Caritasverband für die Diözese Augsburg e.V. startet deshalb am 1. April 2013 sein auf drei Jahre angelegtes Modelllprojekt „Wir – Daheim in Graben!“. Kern dieses Projektes ist es, in der Lechfeld-Gemeinde südlich von Augsburg herauszufinden, wie inklusions- und sozialraumorientierte Hilfen gestaltet werden können, damit alle Menschen unabhängig ihres Hilfebedarfs in Graben bleiben können. „Wenn eine Gemeinde gut vernetzt ist, dann werden sich die Menschen dort wohler fühlen, weil die Gemeinde stabile Strukturen aufweist“, sagte Ulrich Schwarzenberger, Leiter des Projektes. Die Sozialpädagogin Vera Lachenmaier wird ab 1. April die praktische Vernetzungsarbeit vor Ort übernehmen. Ihr Arbeitsplatz ist das Büro Inklusives Graben und darüber hinaus ganz Graben selbst.
Da etwa ein Drittel der Bevölkerung Bayerns in Gemeinden unter 5.000 Einwohner lebt, wie es in Graben mit seinen knapp 3.700 Bewohnern der Fall ist, gewinnt das Projekt auch die Bedeutung eines Referenzprojektes für ganz Bayern und darüber hinaus. Damit andere Gemeinden auf die Erfahrungen und Erkenntnisse in Graben zurückgreifen können, wird das Projekt von Anfang an von der Universität Augsburg wissenschaftlich begleitet. Der Lehrstuhl für Humangeographie und Geo-Informatik führt die Sozialraumanalyse durch, um herauszufinden, was in Graben gebraucht wird, wer welche Hilfen nötig hat oder wer bereit ist, sich für den Nachbarn einzubringen. Der Lehrstuhl für Soziologie begleitet das Projekt dann bis zu dessen Ende am 31. März 2016 und hält seine Forschungsergebnisse schriftlich fest. Wie wichtig das Projekt für ganz Bayern ist, lässt sich daran ablesen, dass das Bayerische Sozialministerium die wissenschaftliche Begleitung finanziell fördert.
Zwei Jahre lang hat der Diözesan-Caritasverband das Projekt vorbereitet. Mit der Gemeinde Graben und ihrem Bürgermeister Andreas Scharf fand die Caritas günstige Voraussetzungen vor. Graben entspricht einer durchschnittlichen ländlichen Gemeinde. Sein Bürgermeister Scharf beobachtet schon seit seiner Wahl im Jahr 2008, dass es viele echte soziale Bedarfe an unterschiedlichen Hilfen in seiner Gemeinde gibt, die aus Scham nicht nach außen dringen. Gleichzeitig gebe es viele auch ehrenamtliche Hilfen, die nicht voneinander wissen. Eine bauliche Lösung durch ein Gebäude für betreutes Wohnen erwies sich dabei als nicht machbar. Scharf trat deshalb an Diözesan-Caritasdirektor Pfarrer Dr. Andreas Magg heran, um gemeinsam mit der Caritas einen Weg in die Zukunft zu finden.
Grundsatz war für die Caritas von Anfang an, den Gedanken der Inklusion der UN-Behindertenrechtskonvention auf alle Menschen mit Hilfebedarfen auszudehnen und ihn nicht nur auf Menschen mit Behinderungen zu beschränken. Peter Hell, Leiter des Referates für Alten-, Behinderten- und Gesundheitshilfe, Hospiz und Autismus und entscheidende Triebfeder für das Projekt, betonte bei der Vorstellung des Projektes, dass für die Caritas Inklusion die „selbstverständliche Einbezogenheit aller Menschen in ihren jeweiligen sozialen Bezügen und Kontexten“ bedeute, die es allen Menschen vor Ort ermöglicht, gleichberechtigt teilhaben zu können. Niemand werde durch das Projekt ausgeschlossen. Es könne ja sein, dass eine alleinerziehende Mutter einen besonderen Hilfebedarf habe wie auch ältere Menschen, die nicht mehr so mobil sind und deshalb nicht mehr selbst zum Einkaufen fahren können.
Hell erinnerte in seinen Ausführungen an die Anfänge der Caritas-Arbeit. Sie sei getragen gewesen von der Caritas-Gemeinde-Schwester, die eben wusste, wer vor Ort welche Hilfe bräuchte, und sich darum kümmerte, dass jemand hilft. Diesen Gedanken unterstrich auch Grabens Bürgermeister Scharf: „Wir brauchen einen professionellen Sozialkümmerer.“ Diese Überlegungen waren auch der Anlass für den Landkreis Augsburg, das Projekt zu unterstützen. „weil es unser seniorenpolitisches Konzept von 2011 weiter entwickeln hilft“, so Peter Beck vom Landratsamt.
Prof. Dr. Werner Schneider vom Lehrstuhl Soziologie der Universität Augsburg unterstrich die Bedeutung des Projektes. Das was den Zusammenhalt vor Ort bislang gewährleistet hat, befinde sich Umbruch. Die familiären Unterstützungssysteme gebe es nicht mehr. Während man im städtischen Raum personenbezogene Hilfen anonym melden könne, sei das im ländlichen Raum hingegen kaum möglich. Netzwerke sind deshalb nötig für die Zukunft, „aber sie sind äußerst schwierig zu organisieren“. Da es keine systematischen Erfahrungen dazu gebe, „sind wir mit Freude dabei.“
Infos:
Projektpartner:
Caritasverband für die Diözese Augsburg e.V.
Gemeinde Graben
Landkreis Augsburg
Begegnungsland Lech-Wertach e.V.
Zeitplan:
Beginn: 2. April 2013 mit Eröffnung des Büros Inklusives
Graben
April: Information an alle Bürger
April/Mai: Sozialraumanalyse durch den Lehrstuhl für Humangeographie und
Geo-Informatik, Universität Augsburg
Juni oder Juli 2013: Zukunftswerkstatt mit BürgerInnen der Gemeinde Graben
Umsetzung durch das Büro Inklusives Graben (Aufbau von Netzwerken; Stärkung des
Hilfemixes unterschiedlicher ehrenamtlicher und professioneller Hilfen;
Gemeindenähe)
31. März 2016: Ende des Projektes
Kosten:
Das Gesamtvolumen beträgt 390.000 €. An diesen Kosten beteiligen sich die
Aktion Mensch, die Gemeinde Graben, der Caritasverband für die Diözese Augsburg
e.V., der Landkreis Augsburg, das Bayerische Sozialministerium und eine
Privatstiftung, die namentlich nicht genannt werden will.